Bequem, haltbar, trotzdem schick: So kann ein deutscher Franzose Schuhe heute noch in Europa herstellen.
Das Unternehmergespräch | Martin Michaeli, Gründer und Inhaber des französischen Schuhfabrikanten Mephisto
Erschienen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland“ vom 02.03.2015.
SARREBOURG, 1. März 2015
Seit den sechziger Jahren erleidet die europäische Schuhindustrie einen Niedergang auf Raten, der unaufhaltsam erscheint. Rund 388 000 direkte Arbeitsplätze bot die Branche in Europa nach Angaben der EU-Kommission noch im Jahr 2006. Bis 2012, dem Jahr mit den letzten verfügbaren Zahlen, war die Stellenzahl schon auf 280 000 geschrumpft.
Doch eine französische Kleinstadt, die einst zu Gallien gehörte, leistet Widerstand. Der Held dieser Geschichte ist freilich keine Comicfigur wie Asterix, sondern der real existierende deutsche Unternehmer Martin Michaeli. Seit fünfzig Jahren produziert er im lothringischen Sarrebourg Schuh-Kollektionen, die rund um die Welt Anklang finden. Angela Merkel, Arnold Schwarzenegger, Steven Spielberg, die Königin von Spanien, Brad Pitt und George Clooney, sowie früher Papst Johannes Paul II., Luciano Pavarotti und Margaret Thatcher – sie alle tragen oder trugen irgendwann eine der vier Mephisto-Schuhmarken.
„Die letzte Fahne der Schuhtradition in Frankreich hält nun Mephisto hoch“, sagt Michaeli. Der 69 Jahre alte Deutsche, dem man sein Alter nicht ansieht, ist äußerst stolz auf sein Lebenswerk und macht daraus keinen Hehl. Er hat dazu auch allen Grund, denn seine Bilanz im täglichen Kampf gegen den Strukturwandel ist mehr als beachtlich. Der Großteil der Mephisto-Produktion kommt heute aus den Werken in Portugal und Frankreich. Mit 2800 Mitarbeitern (darunter knapp 2000 in Portugal und 600 in Frankreich) stellt Mephisto jährlich 3,6 Millionen Paar Schuhe her.
Michaelis Tochter Stephanie und sein Sohn Marc arbeiten auf Führungspositionen im Betrieb mit und sollen den Widerstandskampf künftig anführen. Das Konzept lautet: qualitativ hochwertige Schuhe herzustellen, die vor allem komfortabel sind. Im Marketing betont Mephisto das weiche Fußbett, sowie die bewusst aufrechterhaltene Handarbeit und den Einsatz von Naturmaterialien.
„Mephisto? Das sind doch die irrsinnig bequemen, aber trutschigen Treter, die rüstige Senioren auf Busreisen tragen“, schrieb einst die Tageszeitung „Die Welt“. Doch genau gegen dieses Image wehrt sich das Unternehmen. Trageleicht, aber nicht altbacken wünscht sich Mephisto seine Schuhe. „Wir haben 600 verschiedene Modelle in jeder Kollektion, da sind auch sehr, sehr schicke darunter“, sagt Marc Michaeli, der Sohn des Unternehmensgründers.
Die Zeit, als Mephisto weitgehend von einem Modell lebte, sind auch längst vorbei. Der berühmte „Schnellschnürer“ namens Originals war einst ein großer Renner; bieder zwar, aber sehr bequem. Der Schuh wurde 144 Mal kopiert; ganz Elsass-Lothringen inklusive des· Erzrivalen Bata produzierte das Modell mit, weil die Mephisto-Kapazitäten ausgelastet waren. Der Boom hielt mehr als zehn Jahre an, doch iigendwann war die einseitige Kon· zentration auf diesen Schuh nicht mehr gut. Die Leute sahen die anderen Modelle nicht mehr. Wir wurden in Deutschland. den Niededanden, der Schweiz und Österreich wie ein Hersteller mit einem Monoprodukt gesehen“, erläutert Michaeli.
Darum verbreiterte Mephisto systematisch seine Palette. Neben der Kernmarke verfügt das Unternehmen heute über die ergonomische Nebenmarke Mobils, die Marke Allrounder fürs Wandern und andere Frischluft-Aktivitäten sowie die Marke Sano, die als besonders bequeme Produktlinie verkauft wird. Der Unternehmenschef will kaum über aktuelle Geschäftszahlen sprechen, doch er verrät, dass Mobils zweistellig wachse, etwa in Italien und Spanien. Sano sei dagegen noch das schwächste Glied in der Kette.
Die einzige Marke, die in China gefertigt wird, ist Allrounder: die Schuhe haben einen hohen Textilanteil. Michaeli entschied sich dafür schweren Herzens. „Da haben Sie viel weniger Kontrolle über die Produktion. Was ist, wenn beispielsweise Probleme auftreten, weil Kunden Allergien haben?“ Die Vorschriften für Gerbstoffe etwa seien weniger streng. Aber müsste nicht noch mehr Produktion nach China verlagert werden, weil dort die Produktionskosten so niedrig sind?
„Ich mag nicht“, sagt Michaeli regelrecht trotzig und fügt hinzu: „Das ist wohl mehr etwas für morgen.“ Das Mephisto-Wachstum sei in China zudem nicht so berauschend, wie man sich das vorgestellt hatte, fügt er hinzu. „Wir haben rund hundert Geschäfte in China. Doch die Chinesen, die zu uns kommen, wollen Schuhe made in France oder in Europe.“
Michaeli ist ein unternehmerisches Urgestein, wie es heutzutage nicht mehr oft zu finden ist. Der Sohn eines Schuhhändlers wollte schon immer Schuhfabrikant werden. Gleich nach der Schuhfachschule in Pirmasens brach er mit geringen Englisch-Kenntnissen nach Amerika auf und brachte es dort rasch bis zum Belriebsleiter. Als er nach einigen Jahren in die Heimat zurückkehrte, riet ihm sein Freund und Adidas-Gründer Horst Dassler zur eigenen Betriebsgründung in Elsass-Lothringen. Denn die Leute sprächen dort zwei Sprachen, seien weltoffen und fleißig. Michaeli fuhr dort von Gemeinde zu Gemeinde und fragte die Bürgermeister: „Habt Ihr Kommunisten im Ort?“
Gewerkschaften waren ihm auch nicht geheuer. Zuerst ging es im Elsass los, dann zog er noch zweimal um, um sich schließlich am heutigen Unternehmenssitz in Sarrebourg, achtzig Kilometer östlich von Nancy, niederzulassen. Michaeli produzierte unermüdlich, erst in einem alten Schulgebäude, dann in einem früheren Pferdestall, immer mit dem Ziel vor Augen, einen internationalen Konzern zu schmieden. Das gelang ihm: Heute exportiert Mephisto 80 Prozent seiner Produktion in 86 Länder. Der Umsatz dürfte sich geschätzt auf mindestens 800 Millionen Euro belaufen. Profitabel sei Mephisto auch, versichert Michaeli. Er ist stolz darauf, in fünfzig Jahren kein einziges Mal kurzgearbeitet zu haben. „Und unsere Beschäftigten bekamen jedes Jahr zwei oder mehr Monatsgehälter als Gewinnbeteiligung obendrauf.“
Das Werk in Frankreich hat allerdings im Laufe der Jahre gegenüber dem portugiesischen Standort an Bedeutung verloren. Nur noch kleinere Serien lässt er in Sarrebourg fertigen. Um den Kostendruck zu mildern, konzentriert sich Mephisto zudem stark auf die Umsatzerhöhung. Dazu will das Unternehmen vor allem die Schuhgeschäfte im Eigenbesitz ausbauen, weil dort die Marken vorteilhafter in ihrer ganzen Breite präsentiert werden können. In Deutschland habe Mephisto „viel zu wenige Geschäfte“, sagt Michaeli – 34 an der Zahl, verglichen mit 900 rund um den Globus. Er sucht Standorte in Top-, aber nicht in extrem exklusiven Lagen. In der Düsseldorfer Schadowstraße kam kürzlich ein neues Geschäft hinzu. Im Ausland ist Mephisto etwa in der Londoner New Bond Street vertreten.
Michaeli lebt heute in der Schweiz, ist aber weiterhin viel unterwegs und legt in der Firma die großen Linien fest. „Ich will noch viele Jahre weitermachen“, sagt er und fügt in seiner unbescheidenen Art hinzu: „Ich bin froh, dass ich die Firma habe, und die Firma ist froh, dass sie mich hat
CHRISTIAN SCHUBERT
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